René Keßler ist empört: "Gera macht sich selbst unmöglich"


In Interview spricht René Keßler über wiederholt verschobene Schuleröffnungen, seine Leserbriefe und den Oberbürgermeister.

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René Keßler (55) stammt aus Gera und hat in Sichtweite der Untermhäuser Brücke seine Praxis. Im Oberbürgermeisterwahlkampf verstand er sich als Ideengeber von Julian Vonarb. „Wenn ich Gera in einem Satz kennezeichnen müsste, dann hieß er bis jetzt: Das geht nicht“, sagt er. Foto: Sylva Eigenrauch

Im Oberbürgermeisterwahlkampf 2018 unterstützte der promovierte Hals-Nasen-Ohrenarzt René Keßler aus Untermhaus den heutigen Oberbürgermeister. Nach längerer Pause schreibt er wieder Leserbriefe und empört sich über Zustände in der Stadt.

Wann haben Sie den Oberbürgermeister zuletzt gesprochen?

Zum Wirtschaftsempfang auf dem Parkdeck der Arcaden am 23. August.

Sind Sie noch sein Berater?

Ich war nie der Berater des Oberbürgermeisters. Wir unterhalten uns über aktuelle Probleme, aber die Beraterrolle würde ich mir nicht andichten.

Ich erinnere mich an das Foto vom Stichwahlabend am 29. April 2018. Es zeigt Sie mit Julian Vonarb und dessen Vater. Was ist danach passiert, weil Sie jetzt öffentlich kritisieren?

Ich war Ideengeber. Das bezog sich ausschließlich auf den Wahlkampf.

Sie sind nicht befreundet?

Ich würde sagen, dass wir ein freundschaftliches Verhältnis pflegen. Das ist historisch gewachsen und besteht seit 2008.

Weiß er, dass wir miteinander reden?

Nein.

Am Programm für das Fettnäppchen „Unterm Rathaus brennt noch Licht“ schrieben Sie mit. Weil Sie Insider-Kenntnisse haben oder als Außenstehender vom Leder ziehen möchten?

Ich schreibe schon mehrere Jahre am Programm mit. Auch unter der vormaligen Oberbürgermeisterin. Immer aus der Sicht des Außenstehenden.

Was piept Sie an?

Dass in Gera nichts fertig wird. Das ist seit den vergangenen 30 Jahren so. Denken wir nur an die Themen Kunsthaus, Radrennbahn, Freibad oder Neue Mitte.

Nach fast einem Jahr Leserbrief-Pause meldeten Sie sich im Juni zu Wort und teilten Ihre Aversion gegenüber den Kulturhauptstadtplänen mit. Was missfällt Ihnen daran?

Wir haben in Gera andere Aufgaben. Ich rede von einem Gemeinwesen, das wirtschaftlich am Boden liegt und das eine sehr problematische Altersstruktur hat. Die Kulturhauptstadtbewerbung war eine Idee Einzelner. Die ehemalige Oberbürgermeisterin hat sie sofort aufgegriffen. Maßgebliche Kulturschaffende wie der Freundeskreis Goldener Spatz und das Fettnäppchen wurden bis heute nicht kontaktiert. Ich war selbst im Kulturhauptstadtbüro. Was mir Peter Baumgardt dort vorstellte, war dünn. Ich musste feststellen, dass seine Kenntnisse über die Geraer Kulturlandschaft nicht besonders umfangreich waren. Das ist nicht professionell.

Was braucht Geras Kulturlandschaft aus Ihrer Sicht dringend?

Das Administrative muss in Form gebracht werden. Wir brauchen einen Fachdienstleiter Kultur und eine Neuausrichtung der Kulturhäuser. Außerdem muss ein langfristiger Kultur- und Tourismusplan aufgestellt werden, der tragfähig ist.

Hatten Sie dem Oberbürgermeister versprochen, mit Ihren Leserbriefen zu pausieren?

Ja, aus zwei Gründen. Zum einen hat jeder, vor allem jeder Newcomer, eine Orientierungsphase verdient, die länger als 100 Tage dauern sollte. Außerdem hielt ich mich mit Rücksicht auf die Stadtratswahl zurück.

Haben Sie als Leserbrief-Schreiber Fans?

Ja. Ich freue mich, dass ich sogar von Menschen auf der Straße angesprochen werde, die ich nicht kenne. Diese positiven Reaktionen durchziehen alle Altersklassen. Sie sind Ansporn, Geschehnisse weiter zu beleuchten und meine Meinung rüberzubringen.

Kritik gibt es nicht?

Nicht persönlich. Dabei kann mich doch jeder kontaktieren, der eine andere Meinung hat. Ich bin für Diskussionen offen.

Sie sind Vorsitzender des Fördervereins des Gymnasiums Rutheneum und empörten sich über den neuerlichen Verzug bei der Fertigstellung des neuen Campus. Haben Sie nicht vor der Bildungsausschusssitzung am 30. September davon erfahren?

Mir ist bekannt, dass seit Anfang des Jahres feststeht, dass der Bau nicht termingerecht fertig wird.

Von wem wissen Sie das?

Wir haben Freunde, die uns unterrichten. Mehr als ein Jahrzehnt lang wurden wir von offizieller Seite belogen, was das Prozedere und die Fertigstellung betrifft. In unserer Kampagne 2016 hat uns die damalige Oberbürgermeisterin die Eröffnung für 2019 garantiert. Ich habe damals gesagt, ich glaube ihr nicht. Als 2011 der Architektenwettbewerb lief, hat unser Verein diesen mit einer fünfstelligen Summe unterstützt. Wir verstehen uns als Partner der Stadt. Gleichzeitig erwarten wir Transparenz, wenn es um Termine oder Probleme geht.

Diese erleben Sie nicht?

Die Informationspolitik ist desaströs. Wir erfahren vieles nur zufällig oder unter dem Siegel der Verschwiegenheit.

Sie kündigten eine bundesweite Kampagne an. Wollen Sie Gera unmöglich machen oder auf diese Weise nach Baufirmen suchen, die wirtschaftliche Angebote abgeben?

Gera macht sich selbst unmöglich, wenn Versprechungen nicht gehalten werden. Wir haben in Gesprächen mit der Baudezernentin angeboten, als Verein gewisse Kosten zu übernehmen. Unser Verein hat 280 Mitglieder, sogar in der Schweiz. Sie sind bis vor kurzem davon ausgegangen, dass 2020 der Campus eröffnet wird. Der Verein und die Schule haben das Problem, dass wir an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn wir den Mitgliedern, aber auch den Eltern und Schülern immer andere Termine nennen müssen.

Was planen Sie bundesweit?

Wir wollen unsere Mitglieder bundesweit sensibilisieren und in geeigneter Form bei den Verantwortlichen in Erscheinung treten, um Druck zu machen. Ich denke, das können wir ganz gut.

Haben Sie die Nase voll von der Nähe zur Kommunalpolitik? Auch Viola Hahn haben Sie schon zu beraten versucht.

Was ich spüre ist, dass mit dem neuen OB ein neuer Geist und ein neues Klima eingezogen sind. Ich schätze an ihm die Offenheit gegenüber Problemen, die die Bürger an ihn herantragen. Hier gilt es ihn zu unterstützen. Wobei ich ausdrücklich sage, dass auch konstruktive Kritik eine Form der Unterstützung ist. Was seine Amtsvorgänger betrifft, so habe ich diese Dinge vermisst: Offenheit für sachliche Kritik und Anregungen. Wenn ich Gera in einem Satz kennzeichnen müsste, dann hieß er bis jetzt: Das geht nicht.

Gibt es ein Beispiel?

Seit fünf Jahren bemühe ich mich in dem brachen Haus zwischen Elster und M1, eine Ausstellung zu machen. Auch eine Art Hundertwasserhaus war meine Idee. Die Infraprojekt sagt aber: Das geht nicht.

Wann haben Sie dem Rathauschef zuletzt Unterstützung gegeben?

Wenn er mit Fragen an mich herantritt, was zu unseren Gesprächen immer der Fall ist, bekommt er von mir eine ehrliche Antwort. Seit 21 Jahren behandele ich in meiner Praxis Patienten. Da spricht man nicht nur über Krankheiten. Ich würde sagen, ich habe das Ohr an der Masse und kann einschätzen und auch dem OB mitteilen, was die verantwortungsvollen Bürger in dieser Stadt wirklich bewegt.