Asyl für Snowden
Grafik: © Gustav Blaß

2013 wurde Edward Snowden zum Whistle­blower: Er erzählte der Öffent­lich­keit Geheim­nisse der Intelli­gence Community, darunter des US-Geheimdienstes NSA – jahrelang schon wurde ein beträchtlicher Teil der Welt­bevölkerung von den USA abgehört, belauscht, bespitzelt. Quasi jeder steht seitdem unter totaler Überwachung. Und Snowden? Er befindet sich momentan im russischen Exil, könnte aber bald zurück nach Amerika geschickt werden, wo ihm ein Verfahren droht, das wohl kaum als gerecht angesehen werden kann.

In seiner Autobiografie „Permanent Record“ (erhältlich u.a. bei Digitalcourage) erklärt Snowden, wie es zu seinen Enthüllungen kam: Schon früh interessierte er sich für Computer und begann eine Ausbildung beim Militär. Dadurch erhoffte er sich bessere Einstellungs­chancen bei einem der Geheimdienste. Obgleich er sich bei der U.S. Army schwer verletzte und ausgemustert wurde, nahm man ihn als Techniker in der IT-Sicherheit bei der CIA (Central Intelli­gence Agency, Zentraler Nachrichten­dienst) auf, wo er schnell die Karriereleiter emporstieg und 2007 nach Genf entsandt wurde. Dort hegte er erstmals Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Geheimdiensttätigkeiten. Zwei Jahre später wechselte er schließlich zur NSA (National Security Agency, Nationale Sicherheits­behörde) und entwickelte das interne Backup-Programm „EPICSHELTER“. Durch seine Tätigkeit als System­administrator gelangte er an geheimste Dokumente, die ihm Aufschluss über den gigantischen US-amerikanischen Spionage­apparat gaben. Als er aus gesundheitlichen Gründen nach Hawaii zog, hatte er die feste Absicht, alles über die Massen­überwachung der US-Geheimdienste herauszufinden und programmierte dazu ein Programm namens „HEARTBEAT“, welches die wichtigsten Dokumente und Neuigkeiten von den „digitalen schwarzen Brettern“ aller Stützpunkte der Intelli­gence Community (Nach­richten­dienst­gemeinschaft) zusammenstellen sollte, um offiziell alle Mitarbeiter besser auf dem Laufenden zu halten, inoffiziell diente es ihm für seine Recherche. Mitte 2012 war Snowden schließlich fest entschlossen, die Öffentlichkeit über die gewaltigen Rechtsbrüche der Geheimdienste zu unterrichten und nahm heimlich Kontakt zu Journalisten auf. Schließlich kopierte er die betreffenden Dateien auf eine microSD-Karte, die er mithilfe eines Zauberwürfels („Rubik’s Cube“) an den strengen Sicherheitskontrollen vorbei­schmuggelte und krankgemeldet nach Hongkong floh, wo er sich mit den Reportern traf und den Skandal öffentlich machte.

Was deckte er konkret auf?

Die US-Geheimdienste unterhalten diverse geheime Spionage­programme wie etwa XKeyscore, welche grundsätzlich alle Menschen bespitzeln sollen. Beispiels­weise ist es der NSA möglich, zu verfolgen, wer was im Internet macht, wer wen kennt, wer wem was per Chat oder E-Mail schreibt oder wer mit wem über was telefoniert. Sie weiß also quasi alles. Von fast jedem Menschen auf der Welt. Und nein, von euch ist niemand ausgenommen. Ihr fragt jetzt vielleicht, was ihr gemacht habt, um vom Geheimdienst überwacht zu werden. Die Antwort ist simpel: nichts. Man muss sich nichts zu Schulden kommen lassen, um ständig, dauerhaft und ausnahmslos bespitzelt zu werden. Es wird einfach alles ausspioniert, was ausspioniert werden kann, unabhängig vom Nutzen einer solchen Wahnwitzigkeit. Und was ausspioniert wird, bleibt für immer und ewig gespeichert, dafür hat Snowden selbst mitgesorgt. Das ist ja unsinnig, das ist doch übertrieben, werdet ihr denken. Aber es stimmt wirklich eins zu eins, was ich hier schreibe, denn der lebende Beweis, der Kronzeuge, sitzt in Moskau und wartet auf seine Abschiebung nach Amerika und möglicherweise seine Hinrichtung, wie US-Präsident Donald Jerk Trump gewohnt großmäulig und einfältig verkündet hat.

Wieso sitzt Snowden überhaupt in Moskau fest?

Der Whistle­blower wollte eigentlich mit der Hilfe der Enthüllungsplattform Wikileaks sowie seiner Rechtsanwälte nach Lateinamerika fliegen, um dort Asyl zu beantragen. Bei der Zwischen­landung in Moskau musste er jedoch feststellen, dass die US-Regierung ihm bereits den Pass entzogen hatte, weshalb ihm eine Weiterreise durch Russland de jure nicht möglich war. Aufgrund eines starken Ansturms von Journalisten, die Snowden am Flughafen interviewen wollten, gewährte die russische Regierung ihm dennoch das Recht, sich für begrenzte Zeit in Moskau aufhalten zu dürfen. Bis heute wohnt er dort mit seiner Frau in einer Wohnung.

Warum könnte er überhaupt ausgeliefert werden?

Laut seinem Anwalt läuft 2020 sein Aufenthalts­recht in Russland aus, und es nicht absehbar, ob die russische Regierung bereit ist, Snowden weiterhin zu beherbergen. Theoretisch hätte er sogar die Möglichkeit, die russische Staats­bürgerschaft anzunehmen, doch ob er dies vorhat, ist ebenso ungewiss.

Was erwartet Snowden in den USA?

Die US-amerikansiche Regierung „will nicht, dass die Geschworenen [s]eine Motivationen berücksichtigen können“, wie er selbst in einem CBS-Interview sagt. Es soll ausschließlich die Rechtmäßigkeit seines Handelns berücksichtigt werden und keinesfalls der Inhalt seiner Enthüllungen oder, ob sein Verhalten „richtig oder falsch war.“ Es wären nicht einmal Geschworene beteiligt und die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Snowden erkennt daher völlig korrekt, dass dies „dem Zweck eines fairen Prozesses“ widerspricht. Hoffnung gibt ihm allerdings ein Gesetz, welches Whistle­blower schützen soll, indem es erklärt, es sei die „Pflicht aller Personen im Dienst der Vereinigten Staaten und auch aller ihrer anderen Bewohner, den Kongress oder jede andere geeignete Behörde so früh wie möglich über jedes Fehlverhalten […] in Kenntnis zu setzen, [das] von gleich welchen Beamten oder Personen im Dienste dieser Staaten begangen [wird] und ihnen zur Kenntnis gelangen.“

Wie wahrscheinlich ist es, dass Snowden in Deutschland Asyl erhält?

Dies ist ausgesprochen unwahrscheinlich, da die CDU als GroKo-Regierungs­partei rigoros ablehnte, ihn in Deutschland zu dulden. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, dass die Partei, die sich perfid-niederträchtig „christlich-demokratisch“ schimpft, nicht im Geringsten daran interessiert ist, Nächstenliebe zu leben. Sie tritt geradezu die Predigten Jesu mit Füßen, wie es einer christlichen, abendländischen Partei definitiv würdig ist.

Im September führte Christiane Kaess von Deutschland­funk ein Interview mit Daniel Caspary – er ist Unionspolitiker, EU-Parlaments­abge­ordneter, Vorsitzender der dortigen CDU-/CSU-Gruppe und Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag. Als Mitglied des Ausschusses für internationalen Handel versucht er, unter anderem das TTIP-Abkommen voranzubringen. Zudem ist er Befürworter der Urheber­rechts­reform, im Volksmund „Artikel 13“ genannt, und zieht politische Schlamm­schlachten und Verleumdungen einer sachlichen Diskussion vor. In einem BILD-Interview log er: „Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten.“ Seriöse Medien konnten seine Fantastereien schnell als glatte Lügen enttarnen; Beweise legte der Populist nicht vor. Man kann ihn also durchaus als Personifikation der Falschaussage und der Unglaub­würdigkeit bezeichnen.

Im DLF-Interview verweigert er direkt auf die erste Frage die Antwort: Soll Snowden in Deutschland Asyl bekommen? Stattdessen behauptet er, es handele sich keineswegs um politische, sondern um Strafverfolgung, außerdem hätten wir in den Vereinigten Staaten einen funktionierenden Rechtsstaat. Der Whistle­blower muss fürchten, in seinem Heimatland in einem geheimen Prozess ohne Jury und ohne das Recht auf angemessene Verteidigung zu einer absurd hohen Freiheitsstrafe verurteilt zu werden und muss sich sogar von seinem eigenen Präsidenten mit der Hinrichtung drohen lassen. Wer ist denn bitte ein politisch Verfolgter, wenn nicht Snowden? Und wieso sagt Caspary eigentlich einem Interview zu, wenn er nicht gedenkt, auf die Fragen zu antworten? Desweiteren sagt er: „Ich finde es übrigens ganz spannend, dass wir jetzt diese Debatte ausgerechnet am Wochenende führen, unmittelbar bevor sein Buch veröffentlicht wird. Da geht es bestimmt auch darum, hierfür […] Aufmerksamkeit zu generieren.“ Böse Zungen würden sagen, er unterstelle den öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Neutralität zu verletzen und Snowden heimlich zu fördern. Im Hintergrund ertönt Beifall von Alexander Gauleiter und von Ciconia.

Dass Caspary völlig unwissend über Snowdens Enthüllungen ist, wird daran deutlich, dass er die Massen­überwachung der NSA sogar rechtfertigt: „Wir leben im Moment in einer Situation, in der wir global viele Konflikte erleben, in der Geheimdienste teilweise auch gegeneinander arbeiten. […] Da ist es eine Frage: Brauchen wir solche Dinge. Ich befürchte, wir brauchen hier […] eine […] Überwachung in vielen Bereichen.“ Als Kaess konkret nachhakt, ob man von einem fairen Prozess sprechen könne, umgeht er wiederum die Frage: „Das mag ich hier nicht beurteilen.“ Eine Frage später ist er sich sogar nicht zu schade, unverblümt zuzugeben, komplett ahnungslos über die rechtliche Situation zu sein – er kenne die Details der amerikanischen Rechtsetzung nicht.

„Aber Sie haben gerade gesagt, das ist ein Rechtssystem, das in Ordnung ist. Und jetzt sagen Sie, Sie wissen eigentlich gar nicht, wie es genau läuft.“ Kaess‘ Reaktion möchte ich hier einfach stehen lassen.

Diesmal widerspricht sich Caspary selbst, indem er einerseits richtig sagt, Herr Snowden habe damals, bevor er an die Öffentlichkeit gegangen ist, versucht, mit Vertretern der Politik Kontakt aufzunehmen, die nicht so reagiert hätten, wie er sich das gewünscht hat. Andererseits fantasiert er, eine Preisgabe von solchen Informationen habe einen Riesen-Sicherheitsaspekt, auch die Aussage, dass hier nicht nachgewiesen werden könne, welcher Schaden entsteht. Doch, Herr Caspary! Nämlich keiner! Snowden und die Journalisten seines Vertrauens haben sorgfältig darauf geachtet, keinerlei Namen oder sicherheitsrelevante Informationen preiszugeben. Und selbst wenn: Welcher intelligente Mensch würde es wichtiger finden, einen Geheimdienst zu schützen, statt die illegale Überwachung der gesamten Menschheit in der Weltgeschichte aufzudecken?

Nochmals begrüßt Caspary die Massen­überwachung jedes einzelnen Menschen: „Aber wir erleben doch gerade bei vielen Konflikten, wie aggressiv einige Mächte […] vorgehen […] und da finde ich schon, wir müssen […] in der Lage sein, entsprechende Abwehr­maßnahmen durchzuziehen.“

Aha. Abwehr­maßnahmen also. Chatverläufe von Schulkindern werden gelesen, E-Mail-Konten von Ärzten ohne Grenzen gehackt, Telefonate von politischen Aktivisten abgehört. Typische Abwehr­maßnahmen gegen die Übermacht der feindlichen Geheimdienste und Armeen. Kennt man. Die Terroristen von Hochwald­hausen. Eine Gefahr für uns alle.

Ähnlich unseriöse und inhaltslose Argumente bringen jedoch auch andere Politiker zur Sprache, so etwa der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Mathias Middelberg oder FDP-Vize Wolfgang Kubicki, die am Argument der Straf-, nicht politischen Verfolgung festhalten. Auch der außenpolitische Unionsfraktionssprecher Jürgen Hardt ist hart gegen Asyl für Snowden. Der Deutsche fürchtet seit sechs Jahren um die nationale Sicherheit der USA. Warum auch immer.

Wie stehen andere Parteien und Politiker zum Asyl für Snowden?

Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping: „Es ist Snowden zu verdanken, dass einer der größten Geheimdienstskandale der Welt aufgedeckt worden ist. Wir Linken haben […] gefordert, ihm Asyl zu gewähren.“

Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele: „Es geht gar nicht um eine Asylgewährung. Das deutsche Recht lässt die Möglichkeit zu, Snowden durch einen Erlass des Innenministers eine Aufenthalts­berechtigung in Deutschland zu geben.“

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD): „Die Bundes­regierung hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in Deutschland ohne Rücksicht auf das Ansehen seiner Person und jenseits etwaiger außenpolitischer Erwägungen das Recht hat, ein ihm möglicherweise zustehendes Asylrecht in einem rechtsstaatlichen Verfahren prüfen zu lassen.“

Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland: „Menschen wie Edward Snowden verdienen Schutz und Anerkennung statt Ächtung und Verfolgung. Deshalb sollte die deutsche Bundes­regierung sich […] dazu bereit erklären, Edward Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren.“

Fazit

Snowden erwartet in den USA ein ungerechtes, geheimes Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne die Möglichkeit einer adäquaten Verteidigung. Das nennt man politische Verfolgung. Desweiteren gilt in der Bundesrepublik Deutschland Art. 16a Abs. 1 GG: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Mehr gibt es zur Frage nach Asyl für Snowden nicht zu sagen.

Von Gustav Blaß

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