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RUTHENEUM-BOTE Die Schülerzeitung des Goethe-Gymnasiums/Rutheneums seit 1608 Gera Rutheneums

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31.01.2021 Beitrag teilen Beitrag teilen: Domain: https://OK Link wurde kopiert!




Weimar, 1795: Nach seinem überragenden Erfolg mit Faust versucht der berühmte Dichter und Denker Goethe einer sich langsam anbahnenden Midlife-Crisis zu entgehen, indem er dem Rampenlicht vorübergehend den Rücken kehrt und sich stattdessen endlich voll und ganz seiner Tätigkeit als Wissenschaftler widmet. Sein neuester Clou: eine Zeitmaschine, die ihn in ungeahnte Zukunftsvisionen transportieren soll. Doch ob das so eine gute Idee ist? Sehen wir selbst.

Leipzig, 1948. Trüber Tag. Feld.

Mitten in der Tristesse der Einöde erscheint plötzlich ein unidentifiziertes Flugobjekt. Nach einem rasanten Sturzflug qualmt und scheppert es aus dem Gerät. Ein benommen dreinblickender, zerzauster Mann mittleren Alters entsteigt und blickt hilflos in die endlose Weite. Vom ohrenbetäubenden Lärm aufmerksam geworden, nahen zwei spazierende Herren. Es handelt sich um niemand geringeren als die Schriftsteller Brecht und Dürrenmatt. Argwöhnisch betrachten sie den Fremdling.


DÜRRENMATT
Mein Herr, dürfen wir’s wohl wagen, unser Geleit Ihnen anzutragen? Sie sehen reichlich... (mustert Goethe spöttisch) verlottert aus.

GOETHE
(richtet pikiert seinen Anzugkragen) Ich muss doch sehr bitten! Gottlose Kulturbanausen! Vor Ihnen steht der berühmte, einzig wahre Johann Wolfgang von Goethe, mit Verlaub! Dichter, Bibliothekar, Minister, Leiter des Weimarer Hoftheaters – und nun auch Wissenschaftler, wie Sie sehen! (deutet mit ausladender Bewegung auf die Zeitmaschine) Betrachtet voller Ehrfurcht mein neuestes Meisterwerk: die Zeitmaschine! (heroisch) Deo, virtuti, litteris!

DÜRRENMATT
(lakonisch) Sie meinen jene Zeitmaschine, die soeben offenbar selbst das Zeitliche gesegnet hat? Chapeau! (lacht makaber)

BRECHT
(peinlich berührt zu Dürrenmatt) Mensch, Friedrich, du altes Raubein, nun zügle dich! Der arme Mann ist ja ganz verwirrt. (laut) Ich entschuldige mich aufrichtig für ihn. Darf ich mich vorstellen? Bertolt Brecht. Schriftsteller, Revolutionär, Verfechter der Gerechtigkeit. Und das hier ist mein manchmal etwas zynischer, dennoch hochgeschätzter Freund und Kollege Friedrich Dürrenmatt. Wären Sie ein Zeitgenosse diesen Jahrhunderts, würden Sie uns sicher kennen.

DÜRRENMATT
(brummig) Nun ja, ich vertraue nun mal für gewöhnlich keinem dahergeflogenen Poeten... (etwas versöhnlicher) Wie sieht’s denn aus, haben Sie sich verletzt? Ist Ihre neuartige Maschine gänzlich geschrottet?

GOETHE
(unbeirrt) Mir geht es prächtig. Ich weiß, was ich tue! Und nun, nicht länger hier herumgestanden und Maulaffen feilgehalten! Nach der strapaziösen Reise durch Raum und Zeit gelüstet es mich nach einem Umtrunk in meinem guten, alten Auerbachs Keller. Schließlich bin ich nicht ohne Grund hergekommen. Meine wundersame Maschine parke ich unterdessen hier.

BRECHT
Na, das klingt vernünftig, ganz nach meinem Geschmack. Was meinst du, Friedrich? Wollen wir unseren neuen Freund begleiten?

DÜRRENMATT
(seufzend) Ja, nach dieser absurden Begegnung kann ich auch was Stärkeres gebrauchen. Das erlebt man ja nicht alle Tage...

GOETHE
(beschwingt) Wohldenn, frisch von dannen! (marschiert wohlgemut gen Stadt)

DÜRRENMATT
(betrübt zu Brecht) Mit diesen durchgeknallten Wissenschaftlern wird es noch das schlimmstmögliche Ende nehmen, das kannst du mir glauben! Hiroshima war erst der Anfang...

BRECHT
(schulterklopfend, ermutigend) Die menschliche Vernunft wird das zu verhindern wissen, davon bin ich fest überzeugt! Und nun, lass uns sehen,was der Abend noch bringt...

Auerbachs Keller. Ausgelassene Stimmung erfüllt die Gewölbe. Eine Kapelle spielt. Fröhlicher Tanz. Unsere drei Herren platzieren sich mit drei Flaschen Bordeaux und reichlich Rauchstoff in einer geschützen Ecke.

GOETHE
(mit glänzenden Augen) Ah! Wie wenig hat es sich verändert! Noch immer bewohnt ein unverwechselbarer Geist der Heiterkeit diese Mauern, der bei Betreten jedem Besucher mitten auf den Grund des Herzens dringt! Wie viele glückliche Stunden verbrachte ich hier am Busen eines Mädchens!

BRECHT
Ja, mein Freund, wir alle waren mal jung! Doch genug geschwärmt, Pathos macht müde. Berichte doch lieber noch einmal von deiner Arbeit als Wissenschaftler. Wir sind sehr interessiert an diesen Dingen. Was hast du dir von der Zeitmaschine erhofft?

GOETHE
Ich beobachte in meiner Zeit, dass die Menschen so viele Fortschritte machen. Jede neue Erkenntnis bringt uns ein Stück näher zum Göttlichen – homo deus! Ich konnte es nicht erwarten, zu sehen, was die Menschheit mit ihrem unermüdlichen Forscher- und Erfindergeist in 200 Jahren geschaffen haben würde. Doch davon könnt ihr mir sicherlich berichten. Was sind die Neuerungen heutzutage?

BRECHT
(resigniert) Mein Freund, wenn du wüsstest, welches grausame Leid der Krieg über die Menschen gebracht hat, der noch bis vor drei Jahren in der Welt tobte, würdest du ganz anders sprechen... Normalerweise sollte die Wissenschaft die Mühseligkeit der menschlichen Existenz erleichtern, doch nun wird sie verbrecherischerweise gewaltsam eingesetzt, um Minderheiten zu unterdrücken oder gar zu vernichten. (senkt den Blick) In Deutschland sind unaussprechliche Sachen passiert in den letzten Jahren.

DÜRRENMATT
(zieht verbittert an seiner Zigarre) Panzer, Giftgas, Flugzeuge, Maschinengewehre: die ach so fortschrittlichen Errungenschaften der Menschheit werden sie noch zugrunde richten! Und der kleine Mann kann nichts dagegen tun. Nun fällt der Mensch der durch ihn unüberlegt veränderten Welt zum Opfer, und machthungrige, arteriosklerotische Dummköpfe aus der Regierung haben freie Hand. (ballt die Faust vor Wut) Eine schöne Wissenschaft ist das!

BRECHT
(besänftigend) Verteufle doch nicht die Wissenschaft im Allgemeinen! Ich bin der festen Überzeugung, es kommt nur darauf an, dass der Mensch die Erkenntnisse verantwortungsvoll einsetzt, und zwar zum Wohle der Menschheit. Was einmal gesehen worden ist, kann nicht ungesehen gemacht werden, und irgendwann wird die Vernunft siegen!

Goethe ist unterdessen ganz still geworden. Nachdenklich betrachtet er den restlichen Inhalt seines Glases. Nach reichlicher Überlegung fasst er einen Entschluss.

GOETHE
(zutiefst erschüttert) Ich habe nun erfahren, wie elendig die Menschheit im 21. Jahrhundert dahinsiecht. Oh, wie tragisch! Wir Menschen als Krone der Schöpfung sind zu besserem bestimmt... Meine humanistischen Ideale Vernunft, Tugend, Toleranz, ethische Verantwortung – wo ist all das im 20. Jahrhundert geblieben? Wie konnten wir nur so abdriften? Es ist also wahr: homo homini lupus est. Welch schmerzliche Erkenntnis! (erhebt sich plötzlich) Doch, oh! Ich sehe einen kleinen Hoffnungsschimmer in dieser dunklen Dystopie. Nachdem ich in meine Zeit zurückgekehrt sein werde, werde ich für den Rest meines Lebens versuchen, dieses düstere Schicksal abzuwenden. Irgendwie werde ich es schaffen, die Menschen zu überzeugen. Mir glauben sie vielleicht. Meine Freunde, ich danke euch für eure Gastfreundlichkeit! Doch nun ist es für mich an der Zeit, den Lauf der Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Lebt wohl, und möget ihr stets ein reines Herz bewahren! (eilt hinfort)

BRECHT
Löblich, löblich, dieser alte Herr. Tja, Friedrich, mein Freund, dann bleibt nur noch eins zu sagen: Hütet nun ihr der Wissenschaften Licht, nutzt es und missbraucht es nicht, dass es nicht, ein Feuerfall, einst verzehre noch uns all, ja uns all! (ab)

Heitere Tanzmusik wird immer lauter und bedrohlicher, Leute wirbeln ausgelassen durch den Raum. Die leeren Flaschen kippen um und rollen langsam vom Tisch.

ENDE


Maxine Günther


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